In unserem Designbuch „braces“ besuchen wir Düsseldorfs Kreativszene. Dabei beleuchten wir von der renommierten Networkagentur bis zum selbstständigen Fotografen verschiedene Sichtweisen und sprechen mit Kreativen über Agenturen, den Alltag, Skurillitäten, den Design-Beruf und spielen eine Runde Tischkicker um über dieses und weitere Vorurteile zu diskutieren.
Dabei ist kein gezieltes Interview geplant, sondern ein selbstkritischer, offener Dialog. Zusätzlich zu den Interviews, entsteht eine fotografische Reportage unseres Streifzuges hinter die Schaufenster der scheinbar schönen, bunten Werberwelt Düsseldorfs.
Dirk Unger und Ferdinand Hierl gehen auf ihrer eigenen AgenTOUR auf einen Streifzug durch die Düsseldorfer Designwelt.
Dabei fragen sie sich, wie es mit der Branche in Zukunft weitergeht, was sie arbeiten werden und häufig auch wo sie da eigentlich hineingeraten sind...
Dirk Unger Junior Art Director
Goldbach Interactive AG
Biel/Bienne, Schweiz
www.dirkunger.de
Ferdinand Hierl Webdesigner / Online Kreation
add2 − digital communication
Düsseldorf, Deutschland
www.fhierl.com
Die Designszene ist mehr als jede andere von Vorurteilen, Ritualen und seltsamen Angewohnheiten geprägt: Nickelbrille, Rollkragen-Pullover, Tischkicker und Bier nach Vier sind nur einige davon.
Wie sehen Designer selber die Szene, in der sie arbeiten? Wie sind sie da hinein geraten und treffen all die Vorurteile überhaupt zu? Wo sehen Sie sich in zehn Jahren, was raten sie Design-Studenten kurz vor dem Abschluß? Wie erklären sie Ihren Müttern, was sie arbeiten und was hält die Bäckerin um die Ecke von all dem?
Als Designstudenten mit mehrjähriger Berufs- und Agenturerfahrung haben wir vor Studienende noch einmal einen anderen Blick auf unsere Branche geworfen, bevor wir in ihr unseren Berufsalltag durchleben.
Wir waren zu Besuch bei selbstständigen Unternehmern, kleinen Grafik-Butzen und den großen Namen der Branche. Wir waren weder Kunde, noch Angestellter, weder Praktikant, noch Besucher. Wir führten Gespräche auf Augenhöhe und nach den ersten Gesprächen war klar, dass alle sehr darauf bedacht waren, ein äußerst positives
Auftreten hinlegen zu wollen.
Erstaunlicherweise erhielten wir vom Großteil der angeschriebenen Agenturen eine Antwort. Unser Projekt stieß scheinbar auf Interesse und vielleicht auch den Drang der Selbstpräsentation der Designer.
Sogar einige der Düsseldorfer Agentur-Dickschiffe sagten sofort zu.
Andererseits waren wir enttäuscht, daß einige sich noch nicht einmal mit einem „Vielen Dank für Ihr Interesse“ meldeten bzw. abmeldeten.
Bei kleinen Agenturen saßen wir den Inhabern gegenüber, bei großen versackte unsere Anfrage für eine Woche im Nirvana, um anschließend von − auf den ersten Blick total unbeteiligten Koordinationsangestellten von Fremd- und Partnerfirmen − zurückgerufen zu werden.
Um neun Uhr morgens wurden wir vom Headquarter aus Berlin telefonisch aus dem Schlaf gerissen oder von besorgt scheinenden Creative-Directoren nach einem Fragenkatalog zur besseren Vorbereitung auf das Interview kontaktiert.
Ehrlich gesagt, hätten wir mit mehr Absagen in dieser geschäftigen Kreativ-Welt gerechnet, weil doch Pitches, Wettbewerbe und Awards die volle Aufmerksamkeit beanspruchen.
Bereitwillig wurden uns nicht nur Praktikanten, sondern selbst Junior- und Senior-Art bzw. Creative-Directoren vorgesetzt, die ihre wertvolle Zeit für unsere Fragen opferten. In den größeren Agenturen scheint es sogar extra für derartige Fälle enthusiastische, sympathische Angestellte zu geben, die die Vorzüge der Agentur in einer Führung professionell hervorzustellen vermögen.
Uns wurde stets ein offener Blick in die Agentur und deren Räumlichkeiten gewährt. Wir bekamen die einmalige Chance, Fachleuten Fragen zu stellen, die uns seit unserem ersten Kontakt mit der Szene unter den Nägeln brannten. Wir führten offene Gespräche und bekamen Antworten, die wir in dieser Deutlichkeit nicht erwartet hätten.
Anscheinend waren viele dieser Antworten zu deutlich. Leider ist diese Website von „braces“ wohl nur halb so dick und interessant wie die ursprünglichen Interviews und das Buch geworden. Der Grad des offenen und freien, durchaus auch selbstkritischen Gespräches variierte von Agentur zu Agentur sehr stark.
Wir haben eigene Erfahrungswerte aus dem Berufsleben, sowie hartnäckige Vorurteile bestätigt gefunden und waren überrascht über die Rückstellung des eigenen Egos hinter das des Arbeitgebers, den sie jeweils gut repräsentierten.
Dabei fiel uns vor allem bei den großen Agenturen eine ‚Corporate Language‘ auf:
In der eigenen Agentur ist alles positiv. Sogar unbezahlte Pitches mit zusätzlichen Arbeitsstunden bis tief in die Nacht wirken wie ein selbstgewähltes Hobby.
Unverhältnismäßige Bezahlung und selbst der Fakt, dass es weder Gewerkschaften, Tarifverträge noch Bertriebsräte gibt, erscheint nicht weiter schlimm.
Leider haben diese Aussagen nur eine begrenzte Halbwertszeit bis zum nächsten Agenturwechsel − dachten wir. Aber schon bei den Korrekturwünschen unserer Interviewpartner wurden solche Aussagen in geschriebenem Wort schnell revidiert:
Ganze Doppelseiten wurden kommentarlos gestrichen, wir wurden zu nie getroffenen Abmachungen der Anonymisierung aufgefordert und Praktikanten wurden Aussagen über die unendlichen Möglichkeiten bei der eigenen Agentur in den Mund gelegt.
Ein Interview ist keine Propaganda − das sollten erfolgreiche Agenturen eigentlich wissen. Da bekommt die zensierte Aussage über das sektenhafte Verhalten anderer Agenturen einen
(selbst)ironischen Beigeschmack.
Auf genau dieses Auftreten wollten wir hinweisen und hätten wir alle Zensuren berücksichtigt, gäbe es die perfekte, bunte, heile Werberwelt auch in unserem Buch und auf dieser Website.
Alles in allem hat uns unsere persönliche AgenTour durch die Düsseldorfer Design-Szene mehr Einblicke und Erfahrungen gebracht, als jeder Kurs an der FH.
Dafür möchten wir an dieser Stelle nochmals allen beteiligten Agenturen, Kontaktpersonen und Interviewpartnern sehr herzlich danken.
Im Nachhinein sind wir froh, nicht direkt in die Praktikumsfalle getappt zu sein und auf die Anfrage, eine Website möglichst billig zu gestalten, nicht Ja gesagt zu haben.
Was wir letztendlich nicht erwartet hätten, war die Schwerfälligkeit vermeintlicher Top-Kreativer, in fünf Worten ihren Alltag zu beschreiben.